
Immer wieder werde ich damit konfrontiert, dass sachliche Diskussion emotionslos zu erfolgen hat. Gefühle haben hier keinen Platz, bekomme ich gesagt. Die Fakten sprechen für sich, höre ich immer wieder, und „Wer schreit, ist im Unrecht“.
Selbstverständlich verliere ich nicht die Fassung, wenn ich mit Freund*innen scherzhaft darüber diskutiere, ob Ananas als Pizzabelag akzeptabel ist. Wenn es jedoch um ein Thema wie Diskriminierung geht, werden von Betroffenen empfundene Emotionen als Diskussionsunfähigkeit bewertet, werden kleinste Regungen emotionaler Betroffenheit dazu genutzt, die dargestellten Tatsachen zu diskreditieren, oder sogar als persönlichen Angriff zu verunglimpfen, um sich anschließend selbst in einer Opferrolle darzustellen. Die Forderung nach Emotionslosigkeit wird hier als ein Werkzeug der Täter-Opfer Umkehr genutzt. Echte Diskussion wird so im Keim erstickt.
„Höre nicht darauf, WIE ich etwas sage, sondern WAS ich sage!“
Die emotionale Arbeit, die ich leisten muss, um bei einem Thema das mich emotional aufwühlt Emotionslosigkeit zu simulieren kostet Kraft. Kraft, die ein Mensch, der um seine eigenen Rechte kämpft oft kaum noch aufbringen kann. Oft leite ich meine Energiereserven in diesen einen Satz, in der Hoffnung, dass er Anwendung findet. Und oft fallen meine Worte auf unfruchtbaren Boden. Unsere Gesellschaft gesteht Menschen eine der menschlichsten Eigenschaften nicht mehr zu: Emotionen zu empfinden und auch auszudrücken, nicht nur in Worten, sondern auch in Mimik oder Tonlage. Wir begrenzen die Reichweite unserer emotionalen Kommunikation auf Emojis, drücken damit unsere Wut, Trauer, Freude, Belustigung aus, verbannen sie aber aus unseren tatsächlichen Gesichtern und Stimmen. Und genau das ist problematisch.
Kurz nach dem rassistischen Anschlag in Hanau nahm ich für die Omas gegen Rechts an einer Podiumsdiskussion des SWR teil. Titel der Veranstaltung: Terror von Rechts: Rheinland-Pfalz wehrt sich. Neben mir ein Fußballtrainer mit Migrationshintergrund. Ebenfalls auf dem Podium saß ein Politiker der AfD. Ich möchte jetzt nicht einmal darauf eingehen, als wie fehl am Platz ich die Anwesenheit eines AfD Politikers bei einer Veranstaltung mit diesem Titel persönlich empfand, sondern auf die extreme emotionale Arbeit, die dieser Fußballtrainer an den Tag legen musste, und wie schnell es zu einer Täter-Opfer-Umkehr kam, als eine sich zu Wort meldende junge Frau mit Migrationshintergrund aufgrund ihrer persönlichen Betroffenheit eben nicht mehr in der Lage war, diese emotionale Arbeit zu erbringen, sondern ungefiltert sagte, was sie fühlte.
Der Kern ihrer Aussage war, dass sie es als Schlag ins Gesicht aller Opfer und ihrer Angehörigen empfand, dass ausgerechnet ein Politiker der Partei, welche als geistiger Brandstifter der Morde von Hanau nicht von der Hand zu weisen ist, zu dieser Veranstaltung eingeladen war. Von berechtigter Trauer und Wut, die man ihr ansehen und anhören konnte, aufgewühlt, nannte sie den AfD Politiker „Nazi“. Das nahm dieser dann zum Anlass, auf die Argumente der Dame gar nicht erst einzugehen, sondern sich in die Opferrolle zu begeben, und die junge Frau als alleinige Aggressorin hinzustellen, dies noch so auf die Spitze zu treiben, dass die Frau letztendlich tränenüberstömt die Veranstaltung verließ.
Der neben mir sitzende Fußballtrainer hingegen, der beachtliche emotionale Arbeit leistete, und selbst bei den unmöglichsten Aussagen des AfD Politikers Ruhe bewahrte, wurde letztendlich noch als Vorzeigemodell instrumentalisiert um zu belehren, welches Auftreten man von diskriminierten Minderheiten erwartet: Sei ruhig. Sei unauffällig. Sei diplomatisch. Und vielleicht, wenn du all die Diskriminierung mit Gelassenheit erträgst, wird deine Existenz geduldet.
Es wird Zeit, dass wir Emotionen wieder zulassen. Eine Frau ist nicht „hysterisch“, wenn sie emotionalisiert über persönliche Erfahrung mit Sexismus berichtet. PoC sind nicht „überempfindlich“, wenn sie ihrer Wut über rassistische Mikroaggressionen auf eine Weise Ausdruck verleihen, die dem Aggressor unangenehm ist.
Man kann auch schreiend im Recht sein. Und manchmal kommt man zu seinem Recht eben nur, wenn man laut und unangenehm eben dieses einfordert, anstatt immer wieder freundlich darum zu bitten. Denn mit Honig mag man zwar Fliegen fangen, aber ich esse den Honig lieber selbst, und habe keinerlei Verwendung für Fliegen.